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Die Walkemühle
Landerziehungsheim von (1921-1933)
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6 Leonard Nelson, der Internationale Jugendbund (IJB) und der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK)

Schon kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges bemühte sich Nelson, eine Friedensgesellschaft zu gründen, der die Gedanken eines umfassenden Staatenbundes zugrunde lagen, wie er sie zusammen mit den Mitgliedern der Fries-Gesellschaft entwickelt hatte. Diese Fries-Gesellschaft war 1904 aus einem Diskussionskreis um Nelsons Doktorarbeit entstanden, welche die Philosophie von Fries zum Thema hatte. Doch weder aus der Fries-, noch aus der Friedensgesellschaft wurde eine politisch arbeitende Gruppe im Sinne Nelsons.

Enttäuscht schrieb er über "seine Kreise", Studenten und Akademiker: "Überzeugend und hinreißend wirken nicht Argumentationen und Reden, sondern nur die lebendige Kraft des persönlichen Beispiels." (26)

Im Angesicht des tobenden Krieges begann Nelson nun auch mit Jugendlichen außerhalb der Universität Kontakt aufzunehmen, besonders mit Arbeiterjugendlichen, und gründete 1917/18 den lnternationalen Jugendbund (IJB). In den Kriegsjahren waren zunächst hauptsächlich junge Frauen Mitglieder, da die meisten Männer sich noch "im Felde" befanden.

Mit Mitgliedern dieser Gruppe bemühte er sich, die Freideutschen Jugendverbände der Jugendbewegung dahin zu bringen, mit ihren Ideen auch nach außen wirksam zu werden, ihre "politische Abstinenz" aufzugeben und eine bewusste Erziehungsgemeinschaft zu werden. Doch seine Bemühungen schlugen fehl. Sogar die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) besaß die Tendenz zu "apolitisch - bürgerlicher Jugendbewegtheit". 1920 erklärte der Führer der SAJ bei ihrem ersten Reichstreffen: "Nicht nach Politik stand und steht euer Sinn, ihr wollt nur das Leben leben, das euch gemäß ist.  Die  Jugend ist nur um ihrer selbst willen da (Heilruf).  Es gilt in diesen Jahren nur den eigenen Menschen heranzubilden; wir wollen keinen Parteidrill für politische Zwecke - wir wollen wandern in den Gefilden der äußeren und inneren Welt, jung sein, froh und frei!" (27)

Nelson folgerte daraus, den IJB in Form einer straffen Kaderorganisation aufzubauen: "Wenn aber, wie für mich feststeht, eine erfolgreiche Umgestaltung von der freideutschen Gesamtbewegung nicht erwartet werden kann, so muss die dafür erforderliche Arbeit vielmehr von einem kleinen Kreis schon erprobter Charaktere ausgehen und also in durchaus intensiver Methode erfolgen.  Denn nur so wird es möglich sein, alle die Elemente auszuschalten, die durch Ehrgeiz und Eitelkeit oder romantischen Spieltrieb und Mangel an Ernst die Sache aus ihren Bahnen lenken könnten. Von diesem kleinen Kreis müssen die Führer ausgehen, die dann das Unternehmen weitertragen und ausgestalten." (28)

Bevor sie in die politische Aktion eintreten, sollten jedoch die IJB-Mitglieder zuerst in den richtigen Anschauungen erzogen werden; auch in der revolutionären Situation in Deutschland nach dem Kriege vertrat Nelson diese Auffassung. Für die weitere Entwicklung des IJB bedeutete dies, dass immer ein Schwergewicht auf der Erziehung der eigenen Mitglieder lag. Doch parallel arbeitete man auch praktisch-politisch insofern, als viele jugendliche IJB-Mitglieder gleichzeitig noch in anderen politischen Organisationen mitarbeiteten, wie in der Gewerkschaft oder bei den Jungsozialisten.

Entsprechend Nelsons Vorstellungen von der Herrschaft der Weisen war auch der IJB nach dem Führerschaftsprinzip aufgebaut, und Nelson war es selbst, der hier sämtliche wichtigen Entscheidungsbefugnisse innehatte. Doch hieß das nicht, dass er führte und alle anderem ihm folgten, sondern die Politik wurde unbürokratisch in einem Diskussionsprozess aller entwickelt, was wegen der geringen Größe des IJB noch einfach möglich war.  Ein besonderes Gewicht wurde im IJB dann auch auf die Arbeit in den Ortsgruppen gelegt.

Wer im IJB Vollmitglied werden wollte,  es gab auch einen sogenannten äußeren Kreis, musste bestimmte Mindestanforderungen erfüllen: Er musste sich in einjähriger Arbeit als Gast "im inneren Kreis" tätig bewährt haben, musste sich vegetarisch ernähren und aus der Kirche  ausgetreten  sein.  Die  letzten beiden

Forderungen lagen in Nelsons Theorie begründet. In seinen Abhandlungen zur Ethik ist das Kapitel "Pflichten gegen Tiere" (29) enthalten, was in einem Gespräch mit dem Satz "Tiere haben ein Recht darauf zu leben" (Grete Mayr-Eichenberg) zusammengefasst wurde. Sie sollten nicht zum Werkzeug menschlicher Lust gemacht werden.

Zur Kirche schreibt Nelson in seinen Ausführungen zur Ethik: "Wie der Kapitalismus auf einer Form der Erpressung beruht, so beruht auch der Klerikalismus auf einer Form der Erpressung, indem hier die geistige Not der einen von den anderen ausgebeutet wird, um sich der Herrschaft über ihre Gewissen zu versichern." (30)

Weiter bestanden im IJB noch die Forderungen, keinen Alkohol zu trinken und nicht zu rauchen. Es galt einfach gesund zu  bleiben, wie dies in der Jugendbewegung damals allgemein angestrebt war.  Wurden alle Forderungen erfüllt, entschied nun noch der Gruppenleiter am Ort über die Aufnahme.

Jedes Vollmitglied nahm regelmäßig an den Veranstaltungen der Ortsgruppe teil (§ 12 der Satzung). Diese Veranstaltungen hatten zwei Schwerpunkte: Man beschäftigte sich einmal mit philosophischen Schulungen und erarbeitete mit Nelsons sokratischer Lehrmethode "wissenschaftlich gesicherte Grundsätze für eine rechtliche Politik auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens."(§14 der Satzung).  Dazu kam die praktisch-politische Ausbildung an Problemen der Tagespolitik: Durch das Übernehmen "planmäßig verteilter, den individuellen Fähigkeiten angepasster Aufgaben und Ämter" sollten Charakterbildung und Fertigkeiten im Organisieren erworben werden.

Denjenigen Mitgliedern, die sich in der täglichen Arbeit in den Ortsgruppen als fähigste erwiesen und sich "tätig bewährten", wurde vorgeschlagen, eine längere Schulung in der Walkemühle mitzumachen.

Die Mitglieder des IJB waren in verschiedenen linken Organisationen aktiv: Bei den Jungsozialisten, in der sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), im Freidenkerverband für Feuerbestattung, im Arbeiter-Abstinenten-Bund sowie in der SPD. Besonders in einigen Ortsgruppen und Bezirken des Freidenkerverbandes, der SAJ und bei den Jungsozialisten (Anteil der IJB-Mitglieder an der Gesamtmitgliederschaft zeitweilig mehr als fünf Prozent) konnten sie durch ihre intensive Arbeit einen Einfluss gewinnen, der weit über ihre zahlenmäßige Stärke hinausging.

Im Freidenkerverband für Feuerbestattung führten sie den kulturpolitischen Kampf gegen den Einfluss der Kirche auf das Erziehungswesen, gegen das Konkordat mit dem Vatikan, gegen die "geistige Verknechtung der kommenden Generation". (31)

Auch innerhalb der SPD propagierten sie entschlossen Massenaustritte aus der Kirche,  Forderungen, denen die Parteibürokratie mit Misstrauen gegenüberstand.

Weite Teile der SAJ und der Jungsozialisten waren noch ganz jugendbewegt-apolitisch eingestellt oder knüpften bewusst nationalistisch an die Zeit von 1914 wieder an, wie zum Beispiel zur Zeit der Ruhrbesetzung. Die IJB-Mitglieder in diesen Organisationen waren dagegen für internationale Solidarität der Arbeiterklasse und stellten den Klassenkampf über die Idee des Nationalstaats.

Mit der SPD-Führung kam es dann zu Auseinandersetzungen. 1925 zog die SPD bei der Wahl zum Reichspräsidenten ihren Kandidaten, den Gewerkschaftler Otto Braun, vor dem  zweiten Wahlgang verzagt zurück, obwohl er im ersten Wahlgang die weitaus meisten Stimmen erhalten hatte, um dem "kleineren Übel", dem rechten Zentrumsmann Dr. Wilhelm Marx die Stimmen zufließen zu lassen, wodurch das größere Übel, der Sieg eines Nationalen, verhindert werden sollte. Das war zum einen erfolglos, da der von den Deutschnationalen aufgestellte Hindenburg gewann, und hätte zum anderen nach Meinung des IJB auch nie gelingen können, da Wilhelm Marx nicht das "kleinere Übel", sondern ebenfalls ein unerträglicher Reaktionär war. Dieses unwahrhaftige Taktieren habe dagegen dem Selbstbewusstsein der Arbeiterschaft geschadet, die nun, wenn sie nicht kommunistisch wählen wollte, keinen eigenen Kandidaten mehr besaß. Und Kommunisten wurden vom IJB nicht unterstützt, denn der IJB schätzte die KPD unter anderem so ein, dass sie, die Hände in den Schoß gelegt, auf den naturnotwendig kommenden Sozialismus wartete, anstatt ihn überall aktiv selbst zu erkämpfen.

All diese Aktivitäten des IJB und sein größer werdender Einfluss - innerhalb der Jungsozialisten waren sie die treibenden Kräfte bei der Bildung einer linken Untergruppe gewesen - wurden der Parteileitung der SPD suspekt. Sie suchte nun Gründe, den IJB kaltzustellen, und fand sie in der alten undemokratischen Satzung des Bundes und der dort zum Ausdruck kommenden Absicht, andere politischen Organisationen als Rekrutierungsfeld für eine eigene Parteigründung zu benutzen.

Die Arbeit des IJB hatte diese alte Satzung jedoch schon lange überholt. Der IJB legte - auch als Antwort auf die Angriffe - eine neue Satzung vor, die als obligatorisch für IJB-Mitglieder die Mitgliedschaft in der SPD vorschrieb.  Dies wurde jedoch von der SPD-Leitung ignoriert. Bei der letzten Einigungsmöglichkeit manipulierte der Parteivorstand die Versammlung so, dass Nelson - in seinem Wahrheitsempfinden tief verletzt - mit allen anderen IJB-Mitgliedern den Raum verließ. In Abwesenheit des IJB wurde dann die Unvereinbarkeit der Doppelmitgliedschaft von IJB-Mitgliedern in sozialdemokratischen Organisationen beschlossen.

Ähnlich misstrauisch den Aktivitäten der IJB-ler gegenüber hatte schon 1922 die Jugendorganisation der KPD, die KJ, den Beschluss gefasst, dass Mitglieder der KJD (Kommunistische Jugend Deutschlands) nicht gleichzeitig Mitglieder des IJB sein können. (32)

Der Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD stand weithin im Gegensatz zu den Auffassungen an der Parteibasis, denn die Ortsgruppen wollten auf die aktiven IJB-ler nicht verzichten und stimmten auch in der Tagespolitik oft mit ihnen überein.

Man hätte nun den IJB auflösen und als Einzelpersonen weiter in der SPD mitarbeiten können, aber der Erfolg der letzten Jahre machte Mut, eine eigene Organisation zu gründen, den "Internationalen Sozialistischen Kampfbund" (ISK), welcher die politische Arbeit jetzt noch enger allein an den eigenen Überzeugungen ausrichtete.

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