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Die Walkemühle
Landerziehungsheim von (1921-1933)
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19 Schule der Kinder

Eine Schülerin aus der Erwachsenenabteilung:

"Einmal war das Thema des Unterrichts die Französische Revolution. Was Gleichheit und Brüderlichkeit war, das konnten die Kinder sich noch vorstellen, was das aber mit der Freiheit ist, das wussten sie nicht. Sie wurden gefragt: ,Habt ihr Freiheit?' Da ist ihnen eingefallen: Einmal müssen sie in den Unterricht, morgens müssen sie sich waschen, und zum Essen müssen sie pünktlich kommen, aber unter ,Freiheit' in der Parole der Französischen Revolution konnten sie sich immer noch nichts Rechtes vorstellen, was dann die Leute machen, wenn sie Freiheit haben.

,Wollen wir uns mal überlegen, wie wir es machen können, dass wir wissen, was Freiheit ist ?'   Und dann haben sie gefordert:

,Wir wollen das Geld haben, das für uns angesetzt ist, für vierzehn Tage.' Dann wollten sie noch die Freiheit haben, ihre Zimmer sauberzumachen oder nicht, sich zu waschen oder nicht usw. ... Das wurde alles genehmigt, doch sollten sie jetzt auch selber kochen. Das haben sie auch getan. In einem alten Ziegenstall stand ein alter Herd, da konnten sie jederzeit kochen und schwirrten so nicht immer in der Küche herum.

Der eine wollte es nun besonders schlau machen, der ging zu einem Kaufmann und sagte: ,Sagen Sie mal, wie mache ich das am besten, dass ich schnell mit der Kocherei fertig werde?' Da verkaufte er ihm dann Brühwürfel. Nur war das Unangenehme, dass sie  schließlich feststellen mussten, dass in den Brühwürfeln Fleisch drin war. Nun mussten sie sich entscheiden, ob sie weiterhin vegetarisch leben wollten, kein Erwachsener sagte was dazu. Sie entschieden sich dann, weiter vegetarisch zu leben, die Suppe fiel nun also aus. Na ja, allzu viel kochten sie dann auch nicht mehr. Am Anfang wohl noch etwas Gemüse, das kauften sie vom Gärtner, aber dann lebten sie hauptsächlich von Brot und Obst, denn es war Sommer, und das Geld reichte auch nicht mehr richtig.

Dann entschlossen sie sich, eine Wanderung mit Zelten zu machen. Sie wollten auch dafür Freiheit haben. Da ging dann eine Lehrerin und ein junger Mann mit, die hatten aber ein Zelt für sich und zelteten etwas entfernt von den Kindern; die waren ja erst sieben bis zwölf Jahre alt, und es war ja doch etwas gefährlich. Doch den Kindern wurde nicht gesagt, was sie zu tun oder zu lassen hatten. Sie sollten daraus ja lernen, was Freiheit ist, ob es etwas Schönes ist, etwas Begehrenswertes.

Nach vierzehn Tagen wünschten die Kinder dann, wieder Unterricht zu haben, und sagten: Ja, nun wüssten sie, was Freiheit wäre, und wenn sie mal wieder richtige Freiheit hätten, dann wüssten sie besser, was sie damit anfangen könnten, was ihnen auch mehr Freude macht.

So lernten sie die Freiheit kennen. Das machte mir damals sehr viel Freude, als ich das etwas später hörte." (Grete Mayr-Eichenberg)

"Einmal war in Adelshausen Kirmes, und jedes Kind bekam dafür eine Mark von Julie, die die Kleinen versorgte. Wenn Kinder auf die Kirmes gehen, ist die Verlockung ja groß. So hatten dann einige Kinder fünfzig Pfennig ausgegeben und ein Kind sogar alles. Julie war sehr empört darüber. Sie verurteilte es, dass diese Kinder soviel Schwäche gezeigt und den Verlockungen der Kirmes soweit nachgegeben hatten, alles Geld auszugeben.

Schüler beim Sport

Julie war in der Beziehung ein bisschen streng. Ich war damals erschrocken, wie kann Kindern nur so etwas vorwerfen, wenn man ihnen schon mal eine Mark in die Hand drückt ?  Und dann war den Kindern auch nicht vorher erklärt worden, dass so etwas von ihnen erwartet wurde.

Die Julie war völlig zerstört, und ich sagte dann zu Minna: ,Das ist doch unmöglich, ein Kind kann das doch noch gar nicht genau abschätzen.' Minna stimmte mir zu: ,Ich weiß, das war falsch, dass Julie die Vorwürfe erhoben hat.'

Natürlich wurden auch in der Walkemühle Fehler gemacht, wie bei jedem Experiment. Die Psychologie war ja damals auch noch nicht so weit. Nelson war Rationalist. (Minna Specht dagegen berief sich in der Begründung ihrer Pädagogik auf die Psychologie Freuds und Adlers. (68) )   Nelson hatte den Menschen doch wohl zu einem gewissen Grade überschätzt, der Mensch kann nicht alles mit einem eisernen Willen machen, es gibt auch Situationen, wo Meinungen und Triebe dem Menschen so überrollen, dass der Verstand völlig ausschaltet. Nelson hat das nie akzeptiert. Ich glaube, heute gibt es solche Menschen noch viel weniger als damals, die so zielbewusst sind, wo wir sie doch gerade heute so gut brauchen könnten, in dieser verwirrenden Welt." (Emmi Gleinig)

Ein Helfer:

"Ein Beispiel für die Freiheit, die die Kinder genossen: Wir hatten einen Hof, da spielten die Kinder oft, wenn sie Zeit hatten und kletterten an den zwei festen Barren herum,

die da standen. Sie kletterten dann auch manchmal auf das Dach von einem der Schuppen und auf das Dach vom Turbinenhaus. Als ich sie das erste Mal da im Sommer splitternackt herumklettern sah, dachte ich: ,Um Gottes Willen, wenn jemand dabei herunterfällt!' Einmal fiel dann auch einer herunter, der Kurt Ohlow, und zwar deshalb,

weil sie sich auf dem Dach in die Wolle gekriegt hatten. Der fiel da runter und dann - so war die Dachschräge, eine Tür stand offen - schlug er mit dem Kopf auf die Tür drauf, wurde dadurch abgefangen und kam dann auf die Füße zu stehen - ein paar Hautabschürfungen, sonst nichts.

Den Kindern wurde so etwas bewusst nicht verboten, um ihr Selbstbewusstsein nicht zu zerstören. Es galt das Prinzip der größtmöglichen Freiheit."  (Willi Schaper)

Eine Schülerin, die als Kind auf der Schule war, erinnert sich noch an zwei Aufgaben, die den Willen der Kinder stärken sollten:

"Die Elterntage auf der Walkemühle bereiteten wir Kinder immer selber vor, und zu so einem Elterntag pflückten wir dann mal Erdbeeren. Dabei gab es dann die moralische Verpflichtung, keine zu essen. Das wurde als Willensstärkung angesehen.

Und wenn wir ein Paket bekommen hatten, hängten wir manchmal die Schokolade über das Bett, auch um unseren Willen zu stärken. Die Idee mit der Schokolade war zwar von den Erwachsenen, wir hätten aber dagegen verstoßen können."

Eine Helferin erinnert sich an den Unterricht:

"Früher wurde ja in der allgemeinen Schule in jeder Stunde etwas anderes durchgenommen. Ich weiß nicht, wie das heute ist. Wir in der Walkemühle machten das jedenfalls anders:

Die Kinder hatten vier bis sechs Wochen lang nur ein Thema im Unterricht, zum Beispiel ,Afrika'. Da kann man sich fragen: ,Was haben sie da denn wohl gelernt?' An diesem einen Thema lernten sie was aus sämtlichen Fächern, zum Beispiel Schreiben und Lesen - natürlich, sie mussten dabei ja schreiben und lesen; Rechnen - sie berechneten die Bevölkerungszahlen, den Handel, die Höhe der Berge und die Entfernungen; dann lernten sie Erdkunde:  Wo fließen die Flüsse ? Wie  sehen die  politischen  Verhältnisse aus ? Die Königreiche, die Stämme, die Kolonialmächte, das lernten sie alles an dem einem Thema ,Afrika'.

Gesamtunterricht hieß das. Und wenn sie dann dies eine Thema durchhatten, dann hatten sie es durch.

So wie mit Afrika machten sie das auch mit Melsungen und Umgebung. Bei ,Afrika' hatte man Karten, und bei ,Melsungen' ging man natürlich raus, wanderte: ,Was für Blumen gibt es da?' Sie liefen durch Wiese, Wald und Feld. Der Unterricht war anschaulich, anschaulicher konnten sie es gar nicht mehr machen."   (Hedwig Urbann)

"Unser Unterricht war sehr lebendig. Wir untersuchten möglichst vieles durch eigene Anschauung. Zum Beispiel hatten wir mal ein Vogelskelett gefunden, das wurde dann im Unterricht besprochen.

Bei Minna besprachen wir dann mal ein Pferd im Unterricht. Da wurde dann nicht so wie in einer normalen Schule ein Holzpferd oder ein Schaukelpferd vorne hingestellt, und kaum jemand hatte Interesse, sich mit dem Ding da zu beschäftigen - in der Walkemühle war das anders: Wir gingen zu den Bauern in die Pferdeställe.

eine Schülerin

Einmal war auch ein Inder in der Walkemühle, der erzählte uns was über sein Land. Wir unterstützten dann den Freiheitskampf der Inder und ließen eine ganze Zeitlang eine unserer Mahlzeiten ausfallen." (Emmi Gleinig)

 "Es gibt da eine hübsche Geschichte. Der Tono hatte also erstens gelernt, dass das Getreide wächst, und zweitens hatte er gelernt, was ein Zollstock ist, woraufhin er also den kleinen Berg hochkletterte.

Da war ein Getreidefeld, er nahm da Maß und schrieb sich das auf seinen kleinen Block, also 46 cm. Am nächsten Tag ging er wieder hinauf: 52 cm. ,Donnerwetter, das wächst aber schnell.' Und dann kam er ganz erschüttert wieder: ,Das Getreide ist kleiner geworden!!'  Das waren 44 cm, weil er nicht denselben Halm gemessen hatte."  (Helmut Schmalz)

"Nelsons Forderung, durch größte Zurückhaltung der Lehrer die Entfaltung der Kräfte der Kinder zu fördern und ihr Vertrauen in sich selber zu stärken, bedeutete nicht, dass die Schüler als hemmungslose Wilde aufwachsen sollten. Aber man versuchte, mit einem Minimum an Regeln auszukommen und möglichst mit solchen, für die man Verständnis bei den Kindern schon fand oder im Laufe der Zeit leicht wecken konnte. Zum Teil gaben sich die Kinder selber ihre ,Gesetze', meistens auf Grund irgendwelcher als störend empfundenen Vorkommnisse oder Übergriffe." (69)

"Manchmal spielten wir auf der Walkemühle Theater. Die Erwachsenen für die Kinder oder die Kinder für die Erwachsenen - Kinder verkleiden sich ja sehr gern - oder alle spielten zusammen.

Ich weiß noch von einem Stück, da musste der Peter Nemenyi (laut Willi Schaper der Halbbruder des Schachweltmeisters Bobby Fischer, R.G.) ein Baby spielen und musste dazu in der Wiege liegen, und der Junge war nicht aufzufinden; irgendwo hatte er sich  verkrochen, nicht weil er Angst gehabt hätte, sondern aus Neugier war der irgendwo hin gelaufen; da riefen  alle: ,Peter! Peter! Du musst doch...!' - da kam er endlich in seinen kleinen Höschen und wurde dann in die Wiege gelegt.

Die Kinder spielten sehr viel. Früher wurde ja überhaupt viel mehr gespielt als heute, heute ist ja das Fernsehen da. Puppen, Bälle, Bären - das fing damals gerade an, dass man Bären hatte, Fahrräder, Bauklötze. Ich weiß noch wie wir immer vor Weihnachten die vielen Bauklötze, die in der Tischlerei geschnitten worden waren, zusammen anmalten - aber kein Kriegsspielzeug." (Hedwig Urbann)

Schülerinnen und Schüler, die als Kinder auf der Walkemühle zur Schule gegangen sind, schildern diese Zeit übereinstimmend als unheimlich glückliche Zeit, als die schönsten Kindheitsjahre. Dabei wird betont, dass ja die strengen Forderungen der Schule an die Erwachsenen bei den Kindern noch nicht angewandt wurden.

Protokoll der Schulaufsichtsbehörde

In den Protokollen der Schulaufsichtsbehörden des Jahres 1928 ist über den Unterricht der Kinder folgendes nachzulesen:

Der Schulrat von Melsungen:

"Die fünf Schulpflichtigen sind unter zehn Jahren alt, arbeiten also die Lehraufgaben der Grundschule durch unter Leitung der Oberlehrerin Fräulein Pohlmann. Der Unterricht ist Gesamtunterricht. Das heimatliche Erleben, angeregt und vertieft durch den starken Zusammenhang mit der Natur, durch fast tägliche Beobachtungs- und Erkundungsgänge, durch ganzwöchige Wanderungen in die weitere Umgebung zum Vertrautwerden mit dem Heimatkreis, seiner Natur und seinen Menschen und Verhältnissen, sichert starke, grundlegende heimatliche Vorstellungen. Darüber werden freilich die durch die Richtlinien geforderten Fertigkeiten, z.B. Lesen, Schreiben, auch Rechnen, etwas stark zurückgedrängt, so dass die besseren Landschulen des Kreises trotzdem sie vielmehr Schüler und diese oft in fünf Abteilungen unterrichten müssen, günstigere Ergebnisse aufzuweisen haben. Doch dafür ist der Blick dieser Schüler mehr geöffnet und ihr Verständnis größer für die Umweltverhältnisse." (70)

Der Regierungsdirektor aus Kassel

"...bestätigt das Urteil des Schulrats über die Fertigkeiten der grundschulpflichtigen Kinder. Im Rechnen war die Fertigkeit des 3. und 4.  Schuljahrs im Zahlenlesen recht gering; auch einfache Aufgaben aus den vier Grundrechnungsarten wurden nur langsam und unsicher gelöst. Besser waren die Leistungen im selbständigen Aufschreiben. Dagegen schien die Sprechlust der Kinder wenig entwickelt."

Wie man zum Beispiel als Kind auf die Walkemühle kam

Die Mutter einer Schülerin berichtet:

"Längst ehe unser Kind geboren war, hatten wir Eltern beschlossen, es in diese Schule zu geben, über deren Geist und Erziehung wir durch Minna Specht und Leonard Nelson gehört hatten. Aber unsere Vorstellungen von dem Ganzen waren doch recht unklar: Wir glaubten, dass wir einfach alle drei in die Walkemühle übersiedeln könnten. Ein im Aufbau begriffenes Unternehmen würde sicherlich Verwendung für unsere zu jeder Arbeit bereiten Kräfte haben. So vereinten wir in unseren Träumen ein glückliches Familienleben mit der denkbar besten Erziehung unseres Kindes.

Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Als ich mein Kind in die Walkemühle brachte, lagen Jahre schwerer innerer Kämpfe hinter mir und vor mir; denn mit dem einmaligen Entschluss, sich von einem so kleinen Kinde zu trennen, ist es nicht geschafft.

Aber zum Teil waren es eben diese Widerwärtigkeiten und Widerstände, sowohl bei mir nahestehenden Menschen als auch in mir selber, die mich in dem Wunsch bestärkten, mein Kind in dieser Umgebung aufwachsen zu lassen. Es sollte einmal mutiger zu seinen Überzeugungen stehen und mehr Kräfte aufbringen als ich, um all das in die Tat umzusetzen, was es als richtig erkannt hatte.

Aber musste ich dazu mich von meinem Kinde  trennen ?   Konnte  ich,  nachdem  mir die Notwendigkeit einer solchen Erziehung klar war, sie nicht selbst leisten ?

Aus zweierlei Gründen schien mir das nicht möglich zu sein: Einmal war ich entschlossen, nicht nur ein persönliches Glück für mich und meinen Familienkreis aufzubauen. Es schien mir widersinnig, dass eine Generation  nach der anderen sich abfand mit unzureichenden, in jenen Jahren katastrophalen Verhältnissen in unserer Gesellschaft, weil Berufs- und Familiensorgen sie daran hinderten, ihre Kraft den Bemühungen um eine menschenwürdige Gesellschaftsordnung zu widmen. Eine intensive politische oder sozialpädagogische Arbeit aber würde mir niemals die Ruhe und Sammlung lassen, die eine vom gleichen Geist getragene Erziehung meines Kindes erforderte. Ich hätte das Kind vielen Einflüssen überlassen müssen - den geheimen Miterziehern unserer Kinder - die meinen Gedanken von einer Erziehung zu einem mutigen und verantwortungsfreudigen Menschen nicht entsprachen.

Ein Zweites kam hinzu: Dadurch, dass ich mein Kind in die Walkemühle gab, trug ich dazu bei, Minna Specht und Leonhard Nelson die Möglichkeit zu geben, ihre ethischen und pädagogischen Ideen zu erproben. Wenn jede Mutter ihr Kind gleichsam als persönliches Eigentum festhielt, wäre ein solcher Versuch unmöglich.

So gab ich mein Kind in Minna Spechts Obhut. Einige Tage durfte ich in der Mühle bleiben, um ihm das Eingewöhnen zu erleichtern. Auch die Betreuer dieser Kinder lernte ich kennen und ein wenig vom Leben der kleinen Gemeinschaft.

Und das Kind selber ?  War es nur ein Objekt der Ziele der Erwachsenen ?  Hatte es nicht ein Recht auf Achtung seiner Interessen ? War es damit einverstanden, aus dem warmen Nest herausgenommen zu werden, um einem pädagogischen Experiment zu dienen ?  War nicht gerade der Kampf ums Recht das Leitmotiv unserer Arbeit ?  Mussten wir also damit nicht bei uns selber beginnen? Wie wachen sie wieder auf, diese Stürme von Empfindungen und Gedanken vieler schlafloser Nächte!

Hätte ich nun an die augenblicklichen, von meiner Tochter geäußerten Interessen gedacht, so hätte ich sicherlich von der Trennung abgesehen. So froh sie über die neuen Spielgefährten, Kinder zwischen vier und neun Jahren war, so würde sie leiden, nachdem ich weggegangen sein würde. Und obgleich ich ihr mein Weggehen eindeutig und rechtzeitig erklärte, hat sie doch am Tage danach in Begleitung eines hilfreichen Altersgenossen das ganze Haus nach mir abgesucht. Es war nicht ins Gefühl gedrungen, was das Ohr gehört und der Mund bejaht hatten. Mein einziger Trost war, dass mein Kind später Verständnis für meine Beweggründe aufbringen würde, die ihm heute so viel Kummer brachten - dass seine Erziehung gelingen und es erkennen würde, dass nicht nur meine, sondern auch seine eigenen wahren Interessen mich geleitet hatten." (71)

Sämtliche Kinder auf der Walkemühle waren Kinder von ISK-Mitgliedern oder deren Freunden, so blieb ihre Zahl immer klein und überschritt niemals 25. Minna Sprecht war es nicht gelungen, die Kinderabteilung durch Waisenkinder aus Berlin zu vergrößern.(72) Ihre Bemühungen wurden 1930 von der Regierung Kassel - die änderte sich da schon wieder - blockiert. Man hatte politische Bedenken. (73)

Lässt man sich vor dem Hintergrund des bisher Beschriebenen auf die vielen kleinen Geschichten der Kinder ein und erinnert sich dabei vielleicht auch an seine eigene Kindheit, so fällt einiges auf - sei es beim Hören der Tonbandaufzeichnungen oder aber beim Lesen der Briefe der Kinder an ihre Eltern, auf deren Abdruck an dieser Stelle leider weitgehend verzichtet werden muss:

- Ein ausgeprägtes, selbstverständliches Denken im Gruppenzusammenhang wird offenbar, von "Wir" und "Uns" ist in aller Regel die Rede, ganz selten nur von "Ich" und "Mir".

- Was den Kindern täglich begegnet, wird im Unterricht behandelt. So können die Kinder ihr offenes Auge, "ihren Sinn" dafür behalten.

- Die Kinder besitzen eine sehr raumbetonte Wahrnehmung und Mitteilsamkeit, sie  machen eindrucksvolle Streifzüge in die Umgebung, wovon sie berichten.

- Auf gleicher Ebene, selbstbewusster Umgang mit den Erwachsenen - hier wird nicht unterwürfig gebettelt, sondern die Kinder stellen selbstverständlich ihre Forderungen.

- Die Lehrer lassen die Kinder in ihrer Sprache ihre Entdeckungen beschreiben. Anforderungen an die Form ersticken nicht die Neugier oder die Freude am eigenen kindgemäßen Ausdruck.

Brief an Eltern


Brief an Eltern


Winterfest in einem Arbeiterkinderheim.

M. S. Das Weihnachtsfest hatten die Kinder schon vor einem Jahr abgesetzt

Es war eine gute Aussprache, in der die Kinder das Fest begraben wollten und ein Teil der Erwachsenen es verteidigt. Die Erwachsenen waren zwar alle aus der Kirche aus­getreten, aber sie wollten die Feier nicht preisgeben, ohne etwas anderes, etwas Schönes und das Herz Bewegende an die Stelle zu setzen. Alle Argumente, die Freidenker bei dieser Gelegenheit hervorzuholen pflegen, wurden vor­gebracht: daß Weihnachten ein Fest sei, das nicht erst die Christen eingeführt hätten; daß der tiefere Sinn dieses Festes, den Gedanken der Liebe an einem solchen Tage besonders in Erscheinung treten zu lassen, auch für diejenigen gilt, die der christlichen Kirche nicht angehören. Ganz sicher spielten bei Einigen auch Erinnerungen mit, die aus der eige­nen Kinderzeit her dieses Lichterfest in einen besonders warmen Glanz erstrahlen ließen.

Aber die Kinder, aus aller Herren Länder, wie sie in dieser Arbeiter-Schule zusammen gekommen sind, vielfach aus einem politischen Milieu stammend, in dem die Tradition des Weihnachtsfestes längst erloschen ist, wurden durch dieses alles nicht gerührt. Sie hatten kein Verhältnis zum Tannenbaum), und die Erwachsenen fühlten deutlich, daß es sinnlos sei, künstlich etwas erhalten zu wollen, wo die Kin­der nach anderen Formen und nach einem anderen Inhalt für ihre Freude suchten.

So wurde es denn eine dankbare Aufgabe, diesem Dran­gen nachzugeben und sich darauf zu besinnen, ob wir als Sozialisten und Erzieher einer freieren Jugend eicht etwa« finden können, was unseren Ideen stärker entspricht als die Tradition germanischer oder christlicher Feste.

Die unmittelbare Anknüpfung an die Feiern der Arbeiter­schaft, an die Maifeiern oder an revolutionäre Gedenktage, war nicht nur deswegen ausgeschlossen, weil dieses Fest die langen Wintermonate unterbrechen sollte; die innere Anteil­nahme an den Festen der Erwachsenen ist, wenigstens bei jüngeren Kindern, naturgemäß durch etwas anderes bedingt als durch das, was die, Herzen der Großen dabei erfüllt. Das Fahnentragen, das Mitmarschieren ist schön. Aber das ward wahrscheinlich genau so schön, wenn alle in weißen Hosen und grünen Jacken als Mitglieder eines Schützenvereins da­her marschierten.

Den ersten gesunden Anhaltspunkt für das Abhalten eines Festes boten die Kinder selber: sie wollten das Be­schenken beibehalten. . . . '

Diese natürliche Freude, sich von Menschen, die einem nahe stehen beschenken zu lassen und selber auch zu geben mit den Mitteln, die man hat, reichte denn auch für die Vor­bereitung des ersten "Ersatz-Festes" aus. Aber dem Tag selben fehlte etwas, trotz allerlei Veranstaltungen, die den Kindern gefielen, und trotz des Versuchs, dem Tag ein eige­nes Gepräge zu gehen, wie es dem Sinn dieser Schule entspricht. Was fehlte? Es fehlte die lebendige, tiefe Verbindung zu dem, was den Erziehern in ihrer Arbeit mit den Kindern vorschwebt und was diese Kinder gefühlsmäßig selber längst bejahen: die Zugehörigkeit zur Welt des Sozialismus, die besser aussehen soll als die heutige Ordnung; der Wille, das eigene Leben nicht in einer Umgebung zu führen, in der Mißhandlung, Mißachtung und das Recht dos Stärkeren gel­ten, sondern in einer Gesellschaft, in der alle das gleiche Recht auf Leben und Freude haben. Die Kinder wissen es - weil sie es bereits erleben -, daß es noch andere Kämpfe, andere Not und andere Aufgaben gibt als nur die, in die Welt des Wissens einzudringen und sich gegenseitig in der Kinderkameradschaft beizustehen.

Sobald dieser Gedanke, die Verbundenheit der Schule mit dem Kampf für die Rechte der Unterdrückten, aufgefaßt war, hatte der Plan des Festes auch schon seinen Inhalt Es galt nur noch auszuwählen zwischen einem Fest der Neger, der Chinesen, der Großstadtkinder oder einem Fest der Tiere. Es siegte der Gedanke, "das Fest der Tiere" zu feinern, all der Geschöpfe, deren Freuden und Sorgen die Kinder jahr­aus, jahrein im Garten, auf der Wiese, im Bach, im Wald teilen, deren Abbildungen sie in Büchern und auf Karten bestaunen und deren Leben sie als Vegetarier achten. Als die Kinder-Kommission die Parole herausgab, war die Empfäng­lichkeit der Kameraden sofort wach, und wie selbstverständ­lich blieb der Gedanke im Vordergrund des ganzen Festes.

Es wurden zwei wunderschöne belebte Tage am Schluß dos Jahres, von dem Augenblick an, wo das große Fest­programm, übersät mit leuchtenden Tierfiguren, am schwar­zen Brett erschien, bis zu dem Gang im feuchten Nobel hin­auf zum Feuerplatz am zweiten Abend, wo ältere Genossen den vier Schülergruppen die roten Fahnen übergaben, die an die Verbundenheit mit dem Kampf der Arbeiter erinnern.

Dreierlei haben diese Tage dem Freund der Kinder wieder zeigen können:

Einmal wie empfindsam das Gefühl dieser jungen Wesen auf all das reagiert, was mit der Welt des Schenkens ver­bunden ist. Das Kind steht nicht nur vor der Aufgabe, den Eindruck der Ungleichheit zu überwinden, der auch da noch seine quälende Macht ausübt, wo verständige Eltern bereits weitgehend "an Alle" denken und ihre Sondergaben zurück­treten lassen; es spürt deutlich, wenn irgend einer mit seinem Geschenk vorbei greift, ein anderer mit richtigem Instinkt und

sicherem Schönheitssinn etwas schickt, das zu diesem Winter­fest paßt wie der Vogelruf zum Frühling. All das geht wie Regen und Sonnenschein durch das Gemüt der Kinder und haftet oft länger, als man ahnt.

Der erste Tag mit dem Auspacken, Verteilen und Be­sehen der Geschenke verlief dieses Mal trotz der Zufälle, die nicht ausblieben (und nie ausbleiben werden), in der leichten Atmosphäre von Heiterkeit und Freude, weil die innere An­teilnahme der Kinder stark von den persönlichen Erlebnissen abgelenkt war. Das gelang einmal durch all jene Programm­punkte, in denen sieselbereine Aufgabe lösten, wie die Eröffnung des Festes durch die kurze Rede, die einer von ihnen hielt, wie am Nachmittag das Annageln der Brutkästen auf schwankender Leiter, für. all die Stare, die im Juni die Kirschen vertilgen werden, wie am zweiten Tag das Schauturnen, an dem alle, die Fünfjährigen und die Fünf­zigjährigen nach Kräften beteiligt waren. Und es gelang andererseits dadurch, daß die Bedeutung dieses Tierfestes in einzelnen Augenblicken kraftvoll und rein in Erscheinung trat und dadurch alle immer wieder durch ein starkes Band einte. Die Tier­demonstration erweckte in ihnen noch ein anderes Gefühl als nur das des Vergnügens, an all den bunt gemalten kleinen Holzfiguren, die in Reih und Glied mit roten Fahnen hinter einander herzogen; sie saßen still und glücklich . vor den Lichtbildern, auf denen die ganze Schönheit der Tiere in Erscheinung trat. Und die Älteren  unter ihnen lauschten auf­merksam, als ein Genosse am Feuer dieses Fest ein Fest der Freundschaft mit den Unterdrückten nannte und damit die Verbindung zeigte zu den Aufgaben, die sie als Kinder sozia­listischer Eltern bereits verstehen, und für deren Erfüllung sie selber stark werden wollen.

Die Lust am Nehmen und Geben, die Freude an der Selbsttätigkeit und das Aufgeschlossensein für höhere Auf­gaben, dieser Dreiklang hat dies Fest zu einem hellen Erlebnis für uns alle gemacht.

Wir haben in diesen Tagen nicht die Roheit und die Not vergessen, die heute herrschen, und die vor allem die Ar­beiter, deren Kinder und die Tiere bedrücken. Das Leben der Tiere stand dieses Mal im Vordergrund, im nächsten Jahr wollen sie das Fest der schwarzen Genossen feiern - alles selbstverständlich, wie es durch die Umstände bedingt war, innerhalb der Grenzen eines kindlichen Festes. Aber dieses einfache und heitere Treiben war doch kein bloßes Spiel, kein bloßes Produkt freundlicher Einfälle - hinter ihm stand eine Wahrheit Achtung und Liebe zu denen, die sonst mißachtet werden.

Das machte diese Tage zu einen guten und verheißungs­vollen Anfang; sie zeigten, wie auf dem Terrain der soziali­stischen Weltanschauung eigene Kraft und eigenes Leben sich entfalten können.

 

 

Elternrundbrief (78)

"Walkemühle, den 8. Januar 1933

Liebe Freunde,

Durch den Elterntag seid Ihr von unserer Arbeit während des Sommers 1932 unterrichtet worden. Das Wesentliche unserer Winterarbeit sollt ihr durch diesen Bericht erfahren.

Wir setzten uns nach dem Elterntag die Aufgabe, das geistige Leben der Kinder besonders zu fördern. Darum stellten wir den Unterricht in den Mittelpunkt unserer Arbeit. Mathematik-, Rechnen- und Physikunterricht standen dabei im Vordergrund. Warum ?  In diesen Fächern lässt sich die sokratische Methode als Unterrichtsmethode anwenden. In ihnen kommt es nicht nur auf Wissensbereicherung an, sondern der Kernpunkt ist Einsicht und Verstehen. Dieses kann nur durch selbständiges Denken erreicht werden. Durch die sokratische Methode ist die selbständige Entdeckung z.B. von mathematischen und physikalischen Wahrheiten möglich. Während also in andern Fächern bei uns das Arbeitsschulprinzip, d.h. selbsttätiges, anschauliches Erarbeiten von Wissen Anwendung findet, kommt bei der sokratischen Methode noch hinzu die Weckung und Stärkung der Selbständigkeit des Denkens und vor allem die Freude am Erkennen, die in der Erkenntnis von Gesetzen ihre höchste Stufe erreicht. Hieraus geht hervor, welche Bedeutung die sokratische Methode nicht nur für die intellektuelle Entwicklung, sondern in der Hauptsache für die Charakterentwicklung der Kinder hat. Der sokratische Unterricht soll also dank der Absage an alle Autorität, die sein Wesen ausmacht, ein sehr wichtiger Teil unserer Gesamterziehung werden. Das gilt in größerem Maße natürlich für die älteren Kinder. Bei den Jüngeren nimmt dieser Unterricht seinen Anfang, der Arbeitsschulunterricht wiegt dort vor.

Der Unterricht als Mittelpunkt der Schule bedingte einige organisatorische Änderungen gegenüber der Sommerarbeit. Nach dem Elterntag bildeten wir folgende Unterrichtsgruppen:

I. Gruppe:

Bruno Kaminski, Heinrich Zimmermann, Eva Leitner,  Vertuemo Gloger, Alex Leitner. (Leitung: Hans Lewinski)

II. Gruppe:

Hans Knodt, Sajero Gloger, Hein Lindau, Jürgen Gräffe, Nora Walter. (Leitung: Julie Pohlmann)

III. Gruppe:

Paul Körber, Herbert Lindau, Rainer Schmidt, Horst Erhardt, Heide Fortmüller, Liesel Körber, Tamen Gloger, Nora Fliess. (Leitung: Lieselotte Wettig)

IV. Gruppe:

Lotte Schiff, Sepp Kaminski, Veron Merkos, Peter Nemenyi. (Leitung: Rose Slongo )

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der I. und II. Gruppe gibt außerdem Minna Specht einige Stunden Unterricht. Die IV. Gruppe leitete nach dem Weggang von Grete Kummert eine andere Genossin unter Hilfe von Julie Pohlmann. Jetzt leitet sie Rose Slongo, eine Schweizer Genossin, in der wir hoffentlich einen dauernden Mitarbeiter gewonnen haben.

Anneliese Rorig ist seit Ende Oktober wieder zu Hause. Ihr werdet vielleicht erstaunt sein, dass sie, die Älteste, die am Elterntag wohl einen ordentlichen und kräftigen Eindruck gemacht hat, nicht mehr hier ist. Gewiss, Anneliese Rorig hat eine Reihe von schönen Fertigkeiten, sie ist jedoch oberflächlich und vom schwächlichem Willen. Das zeigt sich besonders darin, dass sie Versuchungen jeder Art widerstandslos nachgibt. In einer heutigen Volksschule wird sie eine gute Durchschnittsschülerin sein. Als wir an alle Kinder die Anforderungen an den Charakter und an den Willen erhöhten, versagte Annelise Rorig gerade in dieser Hinsicht. Die Aussicht, in kurzer Zeit solch tiefgreifende Schwierigkeiten zu beseitigen, ist sehr gering und hätte der besonderen Bereitschaft von Anneliese Rorig bedurft. Wir teilten ihr und ihrer Mutter mit, dass die Möglichkeit bestehe, dass wir sie wegschicken würden, wenn sie sich nicht ändere. Wir wollten es noch eine Zeitlang versuchen. Frau Rorig zeigte für unsere Pläne kein Verständnis und rief ihre Tochter kurzerhand zurück. Über manches Unliebsame, was dann folgte, wollen wir hier schweigen.

Zur Mithilfe in der Gesamterziehung haben wir in stärkerem Maße als bisher die erwachsenen Genossen in der Mühle herangezogen, die Helfer in der Küche, Haus und Werkstatt. Ihre Mitarbeit besteht darin, dass sie auch regelmäßig abends mit Gruppen von Kindern zusammen sind, mit ihnen spielen oder von ihrer früheren Arbeit erzählen usw. ...

Hierdurch soll verhindert werden, dass die Kinder auf den Umgang mit uns Erziehern beschränkt sind. Ihr Blick soll geweitet werden, sie sollen lernen, Umgang mit einer Reihe von Menschen zu haben. Vor allem soll aber dadurch erreicht werden, dass sie die praktische Berufsarbeit zum mindesten gleich einschätzen wie die Berufsarbeit von uns Erziehern. Die Mitarbeit der Genossen ist bis jetzt ein guter Erfolg. Sie ist auch ein Teil der politischen Erziehung der Kinder. Mit der I. und II. Gruppe hat Minna Specht einen Kurs über die Not der Zeit gemacht, wo unter anderem über Sondergerichte, politischen Terror, über das Gute und Schlechte in der Welt gesprochen wurde. Durch eigenes Zeitunglesen, durch Tischgespräche oder durch andere zwanglose Unterhaltungen erfahren die Kinder die wichtigsten tagespolitischen Ereignisse. Politische Bedeutung hatte auch das Winterfest durch seinen Leitgedanken, sich für die Unterdrückten einzusetzen. Vom Winterfest mehr an anderer Stelle.

Die Kinder sind im Ganzen gesehen in recht guter Verfassung. Im Oktober sind sie alle von unserer Vertrauensärztin untersucht worden; sie sind gesundheitlich alle in Ordnung. Der Unterricht macht ihnen viel Freude. Sie sind sehr lernbegierig. Ihr geistiges Leben ist rege. Auch diejenigen, die sich früher etwas darauf zu Gute taten, kein Buch in die Hand zu nehmen, lesen jetzt Bücher und Zeitungen. Sie machen sehr gern zweimal in der Woche je zwei Stunden Schularbeiten, eine Einrichtung, die wir etwa Mitte November geschaffen haben. An schularbeitsfreien Tagen stellen sie oft im Tone des Bedauerns fest: ,Oh, heute sind ja keine Schularbeiten!' Nicht nur das; sie arbeiten auch selbständig an den im Unterricht aufgetauchten Fragen weiter. Die II. Gruppe hat in ihrer Freizeit ein sehr nettes Büchlein gedichtet: ,Mathe, der moderne Held', in dem sie ihre mathematischen Entdeckungen in äußerst lustiger Form in eine Geschichte gekleidet haben.

Selbst auf Peter, unsern Kleinsten, hat das mathematische Interesse übergegriffen. Das zeigt folgendes Gespräch, das sich vor einigen Tagen zwischen ihm und Grete Hermann, Spechts philosophischer Mitarbeiterin, abspielte:

Begegnung in der Haustür.

"Guten Morgen, Peter."

Ein kritischer Blick von der Seite.

"Sie haben gesagt, du könntest mir sagen, welches die größte Zahl ist. Welche ist es?"

"Na Peter, das wollen wir uns gut überlegen. Was meinst du zu 100?"

"Ach, viel größer! Viel größer noch als eine Million!"

"Dann vielleicht eine Billion?"

Peter nachdenklich:

"Nein, noch viel größer, noch mehr als 90 mal so groß."

"Dann vielleicht eine Trillion?"

Peter stutzt. Er hat offenbar keine Vorstellung, wie groß diese Zahl ist und schöpft Hoffnung:

"Ja, vielleicht ist sie es."

"Na, das wollen wir uns noch genau überlegen."

Er steht mit krauser Stirn vor Grete und denkt angestrengt nach. Grete betrachtet ihn von oben:

"Peter, du hast ja ganz schmutzige Ohren. Beide Ohren sind schmutzig. Such dir mal jemand, der sie dir wäscht."

"Das kann ich schon ganz allein."

"Ja, dann um so besser, Peter. Lauf hin und wasch sie dir."

"Ja, gleich, aber erst sag mir, welches die größte Zahl ist."

***

Gute Erfolge hat auch der Turnunterricht gehabt. Es herrscht in den Turnstunden eine straffe - aber keineswegs stramme, militärische - Disziplin, die vor dem Elterntag noch nicht da war.

Die politische Lage: Von einer politischen Unruhe ist hier um uns herum so gut wie gar nichts zu spüren. Die Nazis treten kaum in Erscheinung. Eine Gefahr von dieser Seite scheint im Augenblick nicht da zu sein. Eine sehr ausführliche Schulrevision von Seiten unseres zuständigen Schulrats deutet eine andere Gefahr an: Gefährdung der Schule durch den reaktionären Schleicherkurs. Jedoch ist das nur eine Vermutung, denn eine Revision des Schulrats ist an sich nichts Außergewöhnliches. Wir gehören zu seinem Bezirk, und es ist seine Aufgabe, sich zu vergewissern, ob unser Unterricht die Mindestanforderungen des gewöhnlichen Volksschulunterrichts erfüllt.

Unser Winterfest war ein schöner Erfolg, von keinem Misston gestört. Minna Specht hat im "Funken" Nr. 291 v. 8.1.33 einen ausführlichen Bericht darüber geschrieben, den ihr Euch sicherlich leicht verschaffen könnt. Habt alle herzlichen Dank für Eure schönen Pakete. Mit besonders großer Freude wurden die Pakete aufgenommen, deren Inhalt einen Zusammenhang mit der Idee des Festes hatte. Aber auch die anderen brachten natürlich Freude, zumal ihr alle daran gedacht hattet, dass dieses Winterfest ein Kollektivfest ist, und auch die Kinder dieses Jahr alle zum ersten Mal mit diesem Gedanken ernst gemacht haben.

Einzelheiten über das Fest der Tiere erfahrt Ihr ja durch die Briefe Eurer Kinder. Diese  Briefe  sind  schon  am  2. Januar  geschrieben. Wir haben sie bis heute liegen lassen, um sie mit diesem Brief zusammen zu schicken. Ihr seid also bitte nicht böse darüber, dass die Briefe und der Dank Eurer Kinder mit etwas Verspätung zu Euch gelangen.

Am  3. Januar  begann  wieder  der  regelmäßige Unterricht. Die Arbeit wurde fortgesetzt, als ob wir gar keine Unterbrechung gehabt hätten. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Kinder Interesse und Freude an der Arbeit haben.

Wir haben leider schlechtes Wetter hier. So wie wir gutes Schneewetter haben, machen wir ein paar Tage Wintersportferien.

Unsere Arbeit in der nächsten Zeit geht in der Richtung weiter, in der sie sich jetzt befindet.

Es grüßt Euch herzlich       Hans Lewinski


Aus dem letzten Pensenbuch der Lehrerin Julie Pohlmann auf der Walkemühle:

"  P e n s e n b u c h   G r u p p e   II

Begonnen Anfang Oktober 32

Seit Anfang Oktober 32 besteht die Schülergruppe II. Zu ihr gehören Sajero Gloger (5.Schuljahr), Hansi Knodt (5.Schuljahr), Jürgen Gräffe (4.Schuljahr), Nora Walter.

Gruppe II nimmt am Physikunterricht von Gruppe I (5. und 6. Schuljahr) teil, hat Singen und Turnen gemeinsam mit Gruppe I und III.

Deutsch- und Rechenunterricht: ert. Pohlmann - Physikunterricht: Lewinski mit Unterstützung von Pohlmann, - Mathematik: Specht, - Erdkunde, Zeichnen: Wettig, - Turnen, Singen: Lewinski.

 

Pensenbuch - Deutsch  - Erdkunde - Physik

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