18 Der Tagesablauf auf der Walkemühle "Nach der Gründung des ISK 1926 war unter Mitgliedern das ,Du' verbindlich. Nelson war da eingeschlossen." (Willi Schaper) Der Morgen Die Helferin für das Haus und die Küche kann sich noch am besten zusammenhängend an den Tagesablauf erinnern: "Im Sommer sind wir um sechs aufgestanden. Dann wurde sich gewaschen, unter die eiskalte Dusche, ein bisschen Seife, fertig. Sommer wie Winter haben wir das gemacht. Durch diese Abhärtung sind wir sehr widerstandsfähig gegen alle Krankheiten geworden, das machte man allgemein damals ja so. Dann war Dauerlauf,
anschließend hat man sein Zimmer in Ordnung gebracht, und von sieben
bis acht war gewöhnlich Gemeinschaftsarbeit. Was hat man da gemacht
? Im Sommer zum Beispiel Erbsen gepuhlt, zum Einmachen, im Garten
gearbeitet, überall da geholfen, wo die Helfer das allein nicht
machen konnten, Marmelade gekocht, Gurken und Sauerkraut eingemacht,
dann wurde auch mal ein Haus gebaut, dann musste immer Holz für
den Ofen kleingehackt und das Feuer angemacht werden. Um acht gab
es dann gewöhnlich Frühstück." Schüler mit Elektrokarren bei der Arbeit Ein Helfer: "Jeder von uns hatte
abwechselnd eine Woche lang morgens früh die Pflicht, das Frühstück
mit zurechtzumachen. Das heißt, ein Riesenpott Porridge wurde gekocht." (Willi
Schaper) Turnübungen "Morgens früh begann der Tag damit, dass wir vor dem Frühstück einen Lauf machten, von der Walkemühle bis zur Fulda; und im Sommer, wenn es warm war, stürzten wir uns in dieselbe und trabten dann wieder zurück. Ich hatte mich auf Gehen spezialisiert und konnte so schnell gehen, dass ich mit den laufenden Mädchen Schritt hielt." (Willi Warnke) "Na ja, zum Frühstück gab es dann Haferflocken mit Dickmilch und braunen Zucker, auch die jungen Mädchen, die sonst Größe 36, 38 hatten wurden dadurch dick und rund, das war unheimlich." (Emmi Gleinig) Der weitere Vormittag "Um neun fingen wir dann mit dem Unterricht an, der ging bis halb elf, dann gab es das zweite Frühstück für diejenigen, die es wünschten und aufgrund ihrer körperlichen Arbeit nötig hatten. Von elf bis halb eins wurde dann der Unterricht fortgesetzt, und von da bis zum Mittagessen wurde dann noch ein halbe Stunde Sport getrieben." (Hedwig Urbann) "Vor dem Mittagessen spielten wir in zwei Mannschaften eine halbe Stunde Faustball, wir hatten einen eigenen Platz dafür." (Helmut Schmalz) "Es gab einige Male auch Sonderanweisungen wie z.B.: ,Es muss 20 Minuten sonnengebadet werden.' Da wurde dann das Gelände aufgeteilt, Männlein hier, Weiblein da, Kinder überall." (Willi Warnke) Eine Schülerin, als Kind auf der Schule, berichtet, "es war herrlich, mein Bruder konnte schon schwimmen, und ich habe mit meinen sechs Jahren in der Pfieffe vor dem Stau auch schwimmen gelernt." "Sport war Pflicht, jeden Tag. Bei mir war das oftmals so, dass ich in der Schlosserei oder mit den Turbinen da irgendwie fest hing, und es ging dann auf Mittag zu, da spreche ich: ,Verdammt, jetzt musst du auch noch Handball spielen.' Dann also raus, meistens wurde eine halbe Stunde gespielt. Einmal in der Woche haben wir dann noch abends zwei Stunden Sport gehabt. Für den Sport hatten wir alle Geräte und eine gute Turnhalle, da machten wir zum Beispiel Kastenspringen, da wurde dann noch was da drauf gelegt, eine Kehrschippe mit der Spitze nach oben - ,wer wagt es noch?' Sport trieben Männer und Frauen gemeinsam, wie es auch sonst keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gab, weder in der politischen noch in der praktischen Arbeit." (Willi Warnke)
Das Mittagessen "Beim Essen wurde pünktlich angefangen, da wollten wir nicht von Nachzüglern gestört werden, was ja leicht vorkommt in solch einer Gemeinschaft. Wer zu spät kam, musste allein in der Küche essen und hatte dann anschließend noch Strafspülen; der löste dann den ab, der eigentlich dafür eingeteilt war. Wir wollten nicht gestört werden, und das war aber ein Mittel, um das zu verhindern; und das war ja auch nötig, wenn zwanzig, dreißig Erwachsene zusammen aßen, oder die zwanzig Kinder, die zum Schluss da waren. Die Kinder und die Erwachsenen aßen auf der Walkemühle getrennt." (Hedwig Urbann) "Es gab nette Sachen, zum Beispiel gab es sonntags prinzipiell etwas dem russischen Gericht ,Piroggen' Nachgemachtes. Heute würde man sagen : ,Eine Pizza mit Pflaumen drauf und mit Käse überbacken', es war schon nett. Satt wurden wir, nur kriegten wir alle dicke Bäuche. Die vegetarische Kost war ja auch nicht so, wie sie ein wohlhabender Mensch machen würde, zum Beispiel mit Paranüssen, Erdnüssen oder Walnüssen, das gab es bei uns nicht, dafür hatten wir kein Geld. Meist gab es Kartoffeln, immer wenig Fett, selten Reis." (Helmut Schmalz) Und mit leichtem Grauen erinnert er sich an die internationale Komponente beim Essen: "Von irgendwoher schickte uns jemand große Pakete mit einem ganz furchtbaren Käse. Der war knüppelhart. Einmal in der Woche gab es also solchen Käse anstelle eines normalen Mittagessens. Das war schrecklich, aber es musste ja sehr gespart werden." (Helmut Schmalz)
Eine Helferin: "Wir machten von Zeit zu Zeit im Haushalt Abrechnungen und schickten sie einem Professor Hinthede nach Dänemark. Der war Reformer auf dem Gebiet der vegetarischen Ernährung, und wir lebten eine Zeitlang nach ihm. Der kontrollierte anhand der Rechnungen, ob wir zuviel oder zuwenig gegessen hatten, ob der richtige Anteil Fett dabei gewesen war usw.. Der Hinthede vertrat ja die Ansicht, dass in Pflanzen all die Stoffe enthalten sind, die andere Menschen durch tierische Ernährung zu sich nehmen; dazu hatte er eine bestimmte Diät entwickelt. Wir probierten das eine Zeitlang aus, denn wir waren ja alle strenge Vegetarier auf der Walkemühle." (Hedwig Urbann) Ein Helfer berichtet über den Vegetarismus im ISK: "Wir hatten alle die Pflicht, Vegetarier zu sein. Derjenige, von dem man wusste, der wird jetzt bald den Antrag stellen, um Mitglied im ISK zu werden, der bekam vorher zur Auflage, vier Mal in den Schlachthof zu gehen und zuzusehen, wie das Vieh geschlachtet wurde. Da mussten dann noch zwei Mitglieder mitgehen und durften sich das dann auch noch mal wieder mit ansehen. Vegetarismus war damals etwas sehr von der Norm Abweichendes, und ein Freund hat das zu spüren bekommen: Er war Jahrgang '14, der erste aktive Jahrgang, den der Hitler da einzog. Mein Freund wurde in die Jägerkaserne in Kassel eingezogen und sagte dort: ,Ich bin Vegetarier und ich will hier als Vegetarier leben!' Was machten sie mit dem ? Den steckten sie in die Zwangsjacke und fütterten ihn mit Fleisch. Zuerst hatten sie noch versucht, auf ihn einzureden: ,Stellen sie sich mal vor; Kriegsfall !' Und der sagte dann: ,Kriegsfall ! Wie können sie denn, wenn der Führer von Frieden redet, von Krieg reden?' Solche Töne redeten wir nämlich da noch." (Willi Warnke) Der Nachmittag Eine Helferin: "Bis zum Kaffeetrinken (Ersatzkaffee) um Viertel nach drei stand uns die Zeit zur freien Verfügung. Von vier bis sechs wurde dann von den einzelnen Schülern der Unterricht vom Vormittag nachgearbeitet und Protokolle geschrieben. Bis zum Abendessen um sieben machten wir dann oft noch etwas Gymnastik, spielten Völkerball oder sangen unsere Lieder zur Klampfe." (Hedwig Urbann) Ein Helfer: "Einer war immer beauftragt, alle Zeitungen vom Tag zu lesen. Wir lasen viele Zeitungen, zum Beispiel die Frankfurter Zeitung von Sonnemann, die Sonntagszeitung von Schairer, die Weltbühne, Kasseler Zeitungen und das Melsunger Tageblatt. Darüber wurde dann während des Abendbrotes für alle ein Zeitungsbericht gegeben. Wenn man berichtete, musste man aufpassen, denn da saßen Fachleute, die zuhörten. Zum Abendbrot gab es im Sommer manchmal Arbeitseinsatz im Garten: Da wurden ein paar Teller Brote zurechtgemacht, mit unserem selbstgemachten Fett und Palmin und gutem Öl drauf, und dann hieß es: ,Heute Abend sind im Quadrat sowieso die Stachelbeeren soweit, da wird gegessen. So hat das funktioniert bei uns." (Willi Warnke) Die Abende Neben den oben ausführlich beschriebenen Kapellenabenden gab es manchmal Besucher, die erzählten. Zu bestimmten Themen wurden Diskussionen angesetzt, oder es wurden die politischen Tagesereignisse besprochen. Die Nacht Ein Helfer: "Wir hatten in der Walkemühle die Verpflichtung: Jeder musste sechs Stunden zusammenhängend im Bett gewesen sein, und wenn er nicht sechs Stunden zusammenhängend im Bett gewesen war, dann musste er zu dem Vertrauensmann hin, den wir hatten, sich bei dem melden und musste sagen: ,Du, ich hatte das nicht eingehalten.' Bei mir ist das oft vorgekommen und zwar insofern, als ich am Anfang jedes Monats die gesamte Abrechnung auf den Tisch legen musste, und zwar einem Volkswirtschaftler, der da Ahnung von hatte. Das musste stimmen, da habe ich manche Nacht gesessen und habe raufwärts und runterwärts gerechnet." (Willi Warnke) Eine Schülerin: "Ach, wie war das schön, frühmorgens auf unseren Zimmern. Wenn wir Urlaub hatten, haben wir manchmal die Nacht durch gelesen, und dann graute der Morgen, die Sonne ging auf, und am Waldrand standen die Rehe." (Emmi Gleinig)
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