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Die Walkemühle
Landerziehungsheim von (1921-1933)
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13 Politische Aktivitäten in der Umgebung

Was sich in diesem Plan unter "Außenarbeit in Jugendgruppen der umliegenden Ortschaften" verbarg, kann als Unterricht der erwachsenen Schüler angesehen werden,   Unterricht  in praktisch - politischer Arbeit.

"Als Schüler der Walkemühle und ISK-Mitglied hatten wir die Verpflichtung auf uns genommen, an zwei Wochenenden im Monat draußen im Lande Agitation für den ISK zu betreiben. Manche haben darüber hinaus auch noch zeitweise in Ortsgruppen des, Freidenkerverbandes für Feuerbestattung' mitgearbeitet. Das durfte natürlich auf gar keinen Fall der Schulrat erfahren, da hätten wir Schwierigkeiten gekriegt. Trotzdem gehörte also zweimal im Monat der Sonnabendnachmittag bis  um vier in die Nacht hinein unserer politischen Tätigkeit.

Der ISK brachte monatlich eine Zeitschrift heraus, die ISK-Hefte, und alle Mitglieder hatten sich verpflichtet, davon so und so viele an den Mann zu bringen und mit den Lesern sogenannte ISK-Leserabende zu machen, das waren reguläre öffentliche politische Versammlungen.

Wir sind dann also mit unseren Heften raus auf die Dörfer. Mit einer Genossin zusammen hatte ich Altmorschen und Neumorschen. In Altmorschen war die alte Mutter Laux, da haben wir dann unsere Räder untergestellt. Die Mutter Laux hatte uns so lieb gewonnen, ich hatte gerade zu meiner Berta gesagt: ,Du machst Altmorschen, und ich gehe rüber und mache Neumorschen,' da stand sie dann schon da: ,Aber um so und so viel Uhr seid ihr wieder hier, dann ist der Kuchen fertig!'

Dann sind wir von Haus zu Haus gegangen, haben angeklopft und haben mit den Leuten diskutiert, haben ihnen erklärt, was in den Heften stand. Die kosteten zwanzig Pfennig, das war viel Geld damals - es hat auch welche gegeben, die gaben uns auch mal etwas mehr, da hatten wir Glück, da konnten wir einem anderen sagen: ,Du kannst es für einen Groschen kriegen.' Wir waren bekannt als die von der Walkemühle und hatten auch in allen Orten unsere Vertrauensleute sitzen, die uns was sagen konnten, z.B. wo es sich bestimmt nicht lohnte hinzugehen. Ich hatte Glück, ich bin gebürtiger Witzenhäuser und konnte mich schnell an das Platt der Leute gewöhnen.

Wenn wir uns dann abends trafen: ,Wie viel hast du denn zusammengekriegt?' ,Zwölf, und du?' ,24!', Mensch, wie machst du das denn bloß?' Ich sage: ,Ihr müsst die Leute richtig anreden, mit eurem Hochdeutsch da ist doch nichts zu machen.'

Da kamen nämlich welche aus Hannover, die sprachen so ein besonders spitzes Hochdeutsch.  Die gleichen Schwierigkeiten hatten natürlich auch die Ausländer, wenn sie loszogen." (Willi Warnke)

Wie locker die Stimmung bei diesen politischen Ausflügen manchmal war, und wie viel Zeit man sich dabei ließ, zeigen die folgenden Berichte.

Eine Schülerin:

"Einmal war ich mit einer Schweizerin zusammen zu Fuß unterwegs. Wir wollten in den Dörfern ISK-Hefte verkaufen und hatten noch etwas Zeit, da setzten wir uns in den Straßengraben. Nun lagen da unter einem Apfelbaum sehr viele schöne Äpfel.  Wir hatten selbst auch welche mit, doch waren unsere nicht so schön. Einfach wegnehmen wollten wir die Äpfel, die uns ja nicht gehörten, aber nicht, so legten wir schließlich für jeden genommenen Apfel einen von unseren dafür wieder ins Gras.

Dann sind wir weitergegangen und kamen an eine Kirche. Die Tür zum Turm stand offen, wir fanden aber niemanden, den wir hätten fragen können, ob wir da rauf durften. So gingen wir dann einfach so hinauf. Das war imposant, das Uhrwerk und die Glocken da zu sehen. Nachdem wir so eine Zeit da herumgeklettert waren, gingen wir wieder nach unten. Die Tür stand glücklicherweise noch offen, da stand dann aber auch jemand, der uns fragte, woher wir denn die Erlaubnis hätten ...

Ein anderes Mal sind wir zu dritt mit Fahrrädern gefahren. Ausgerechnet einem Mädchen, das besonders tierlieb war, ist dann ein Gänserich mit dem Hals in die Speichen gelaufen. Die hat dann sehr geweint, und es hat ihr noch wochenlang leid getan."  (Grete Mayr-Eichenberg )

Die Leserkreisabende wurden erst in den letzten Jahren vor 1933 eingeführt. Immer war jedoch schon üblich gewesen, zu zweit oder zu dritt - man wollte niemanden majorisieren, nur die Argumente sollten zählen - in öffentliche Versammlungen der politischen Parteien zu gehen.

"Da wurde dann schon geredet: ,Mensch, da sind wieder ein paar von der Walkemühle gekommen, die sprechen gleich in der Diskussion.' Manche waren darüber froh, andere haben regelrecht Angst gehabt."

(Willi Warnke)

Ein anderer Schüler:

"Die Schule hieß damals im Volksmund ,Kommunistenhecke', viele mochten uns nicht besonders. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, wo wir in viele öffentliche Versammlungen gegangen sind. Damals ging es um einen Volksentscheid ,Panzerkreuzer oder Wohnungsbau', glaube ich.  Da haben wir in der Umgebung von Melsungen gesprochen und gewirkt." (Willi Schaper)

Eine Schülerin:

"In einer Nachbargemeinde von Melsungen ist auch einmal ein Theaterstück aufgeführt worden.  Es ging damals um das Konkordat und darum, den Einfluss der Kirche auf die Schule zu bekämpfen. Das machten wir zusammen mit dem Freidenkerverband für Feuerbestattung." (Grete Mayr-Eichenberg)

Ein Schüler:

"Meine letzten wichtigen Versammlungen, die ich besucht habe, waren die zur Wahl des Reichspräsidenten 1932. Die Arbeiter hatten sich angestrengt, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, und es zeichnete sich ab, dass es der Gewerkschaftler Müller werden sollte. Aber dann kippte die Sache um: Die Sozialdemokraten kamen und sprachen: ,Wir wählen Hindenburg.'

Da bin ich im ganzen Kreis Melsungen so ziemlich hinter jeder Versammlung her gewesen und habe da gesprochen, und ich habe zum Schluss immer den Satz gebraucht: ,Wenn es nicht gelingt, die Alternative ,Hitler - Thälmann - Hindenburg' umzuwandeln in die Alternative ,Arbeiterschaft - Bürgertum', dann wird der Sieger aus diesem Rennen der Faschismus sein.' Das war immer das Ende meiner Rede.

Wir in der Walkemühle hatten, wie viele im ISK, damals schon ,Mein Kampf' gelesen. Ich auch, ich kannte das auswendig, wir wussten also, mit wem wir es zu tun hatten." (Willi Warnke)

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