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Von Wilhelm Meyer.

Das Ergebnis sehen wir heute.

Die Bedienung in der Kneipe hatte mich immer schon an meinen Vater erinnert, die gedrungene Gestalt, vorzüglich aber die kurzen Beine. Nur, war die Gedrungenheit meines Vater, durch seine kriegsbedingte Verkürzung entstanden. Man macht Prothesen nie auf der natürlichen Länge der Beine, die sie ersetzen sollen, man berechnet die ergonomisch optimale Lange, und die ist kürzer als die der Natur, eine Verbesserung also. Diese Bedienung nun war kaum noch verkürzbar vorzustellen. An Ihr hätten Prothesenbauer ihr Vergnügen. Erwiesenermaßen hebt ja die günstigere Länge der Beinprothesen deren noch vorhandenen Nachteil gegenüber natürlichen Beinen kaum auf. Hat jemand jedoch auf natürliche Weise die optimale Länge erhalten, sei es, daß er der Sproß einer in mehrerer Generationen nachdenklichen Prothesenbauerfamilie sei oder durch schlichten Zufall, müßte, wenn er nicht an anderen Defekten zum Ausgleich leidet, hier das notwendige zusammenzutragen sein. Man denke an die unvergleichlichen Tore von Gerd Müller. Auch so ein Fall, wo Wissenschaft, um sich nicht des Vorwurfs der Anbiederung auszusetzen, verpaßt hat, der logischen Kette ein natürliches I-Tüpfel aufzusetzen, um sich mit jedem Tor dieses genialen Fußballers von dem Vorwurf, man kürze die Prothesenunterschenkel aus Materialersparnisgründen, freischießen zu lassen. Welch eine Raffinesse auch des Patriachats die unpraktischen stöckelig hohen Beine, vorzüglich Unterschenkel der Frauen zum Schönheitsideal zu erklären. Das heißt, gezielt Unwissenheit unter dem Deckmantel der Natur zu verbreiten. Schon hat sich die Haute Couture des Schenkelbaus dazu hinreißen lassen, Prothesen in, wie man sagt, natürlicher lange herzustellen. Sie erledigt damit zwar freundlicherweise den Verdacht daß kassenerzwungene Materialersparnis der Grund für den veränderten Blick der Prothesenbauer sei, indem sie zeigt, daß gerade die unvernünftig aufwendigeren Modelle sich besser verkaufen lassen, verstellt aber den Blick auf die Unvernunft der Natur, wiewohl gerade an genannten Beispielen - Gerd Müller und der Kneipier - die Natur zeigt, daß sie den Weg der Vernunft probeweise einschlägt. Es fehlt ihr am Beifall. Wie sollten sich aber auch Menschen mit, ich nenne sie analog zu Nietzsche Überschenkeln, in gehörigem Maße fortpflanzen, wenn sie ästhetisches Mißfallen erregen. Selbst eindeutig signifikant höhere Erfolge im Bereiche des Spitzensports dieser doch proportional gering vertretenen Gruppe der Überschenkligen vermögen nur zu vernachlässigende Teilerfolge zu erzielen. Die Erotik diktiert nach älterer Bauart. Möglich, daß, wir wissen ja, daß im Mittelalter die Menschen kleiner waren als heute, sie nicht einfach kleinere Menschen waren, sondern ihre geringere Größe einzig zwei sinnig verkürzten Unterschenkeln verdankten, und nur die mißgeleitete Phantasie sich auf die raren Exemplare der ungünstigeren Bauart stürzten, vielleicht Restbeständen einer sumpfigen Zeit. Da sie so selten waren, die hochschenkligen Männer und Frauen, waren sie so begehrt, was auch heißt, mit überproportionalen Fortpflanzungserfolgen. Das Ergebnis sehen wir heute.

 

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